25. Juni 2025

E-Invoicing in UK: Zwischen Status Quo und Regulierungswende

E-Invoicing steht im Zentrum aktueller Digitalisierungsinitiativen im Finanz- und Steuerwesen. Weltweit treiben viele Länder die Einführung elektronischer Rechnungen voran, um Geschäftsprozesse zu beschleunigen und Steuerbetrug einzudämmen. Auch Großbritannien beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema: Die britische Regierung hat Anfang 2025 eine öffentliche Konsultation zur Standardisierung und Förderung von E-Invoicing gestartet. Ziel ist es, Erkenntnisse aus Wirtschaft und Verwaltung zu sammeln, um den zukünftigen Kurs für elektronische Rechnungen im Vereinigten Königreich festzulegen. Dieser Blogartikel gibt einen verständlichen Überblick über E-Invoicing und den aktuellen Stand in UK – von den Grundlagen über den rechtlichen Rahmen bis zu den Auswirkungen auf Unternehmen.

Was ist E-Invoicing?

E-Invoicing (elektronische Rechnungsstellung) bezeichnet den strukturierten, maschinell lesbaren Austausch von Rechnungsdaten im XML-Format nach Standards wie UBL und übertragen über Netzwerke wie Peppol. Im Gegensatz zu Papierrechnungen oder PDFs werden die Daten direkt zwischen Systemen verarbeitet. Vorteile sind u. a. geringere Fehlerquoten, schnellere Zahlungen, geringere Kosten und bessere steuerliche Nachvollziehbarkeit. E-Invoicing ist außerdem ein Kernelement moderner, digitaler Buchhaltungssysteme und unterstützt die Automatisierung von Rechnungsprüfungs- und Freigabeprozessen.

Möchten Sie näheres zu den Vorteilen und der Anbindung an SAP Document and Reporting Compliance (SAP DRC) erfahren? Dann lesen Sie hier den Blogartikel unserer Kollegen Felix Löffler und Daniel Giesbrecht über die gesetzlichen Anforderungen und der digitalen Umsetzung mit SAP DRC.

Was macht Großbritannien besonders?

Großbritannien verfolgt beim Thema E-Invoicing einen eigenständigen Weg, geprägt durch den Brexit und nationale Besonderheiten. Seit dem EU-Austritt ist das Land nicht mehr an europäische Vorgaben gebunden und kann seine Digitalstrategie unabhängig gestalten. Zwar wurde die EU-Richtlinie zur E-Rechnung im öffentlichen Auftragswesen bereits 2019 in nationales Recht übernommen – öffentliche Auftraggeber (B2G) müssen also E-Rechnungen empfangen können – jedoch existiert bislang keine generelle Pflicht zur elektronischen Rechnungsstellung. Unternehmen können E-Invoicing freiwillig nutzen – ein flächendeckendes Mandat gibt es nicht.

Eine Ausnahme bildet der Gesundheitssektor: Für Lieferanten des NHS (National Health Service) ist E-Invoicing verpflichtend eingeführt. Diese sektorale Verpflichtung unterscheidet sich von anderen Ländern, die meist branchenübergreifende Mandate einführen.

Anders als Staaten wie Italien oder Mexiko setzt Großbritannien nicht auf eine zentrale Rechnungsplattform. Die britische Steuerbehörde HMRC (Her Majesty’s Revenue and Customs) lehnt einen zentralistischen Ansatz aufgrund von Komplexität und Kosten ab. Stattdessen verfolgt das Land einen dezentralen und marktwirtschaftlich geprägten Kurs – Unternehmen können frei wählen, welche Software sie nutzen, sofern technische Standards eingehalten werden.

Nach dem Brexit ist Großbritannien nicht verpflichtet, künftige EU-Initiativen wie das Reformpaket VAT in the Digital Age (ViDA) umzusetzen. Dennoch mahnen Wirtschaftsverbände zur Orientierung an internationalen Standards, um Wettbewerbsnachteile für britische Unternehmen zu vermeiden. Es besteht die Sorge, dass ein fehlendes E-Invoicing-Mandat Investitionen hemmen und internationale Anschlussfähigkeit gefährden könnte.

Ein bedeutender Vorläufer im Digitalisierungsprozess ist das 2019 eingeführte Programm Making Tax Digital (MTD). Es verpflichtet Unternehmen zur digitalen Übermittlung ihrer Umsatzsteuermeldungen. Seit 2022 gilt dies für alle USt-registrierten Firmen. Die dabei gewonnenen Erfahrungen gelten als wichtige Grundlage für eine mögliche Ausweitung auf E-Invoicing.

Rechtlicher und regulatorischer Rahmen

In Großbritannien ist die elektronische Rechnungsstellung steuerlich erlaubt, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt sind – etwa zur Datensicherheit, Vollständigkeit und Aufbewahrung. Geregelt ist dies in der HMRC-Mitteilung VAT Notice 700/63. Eine gesetzliche Pflicht zur E-Rechnung besteht bisher nicht. Lediglich öffentliche Auftraggeber müssen technisch in der Lage sein, elektronische Rechnungen zu empfangen. Eine Ausnahme bildet der NHS, wo E-Invoicing über Peppol vorgeschrieben ist.

Nach dem Brexit verfolgt das Land eine eigenständige Regulierung. Um die Einführungspflicht zu prüfen, wurde 2025 eine nationale Konsultation durchgeführt. Diese umfasste Fragen zu möglichen Standards, Umsetzungsszenarien und zur Einführung von Echtzeit-Meldesystemen (CTC: Continuous Transaction Control). Die Steuerbehörde HMRC sieht darin ein Mittel zur Schließung der Steuerlücke und unterstützt den Prozess, setzt jedoch auf Freiwilligkeit und Kooperation mit der Wirtschaft. Eine gesetzliche Pflicht könnte frühestens gegen Ende der 2020er Jahre eingeführt werden.

Status Quo in Großbritannien

Nutzung im öffentlichen Sektor

Obwohl Behörden seit 2019 technisch in der Lage sind, elektronische Rechnungen zu empfangen, wird das Potenzial noch nicht umfassend ausgeschöpft. Besonders der NHS treibt mit seiner Peppol-Pflicht die elektronische Rechnungsverarbeitung aktiv voran, was viele Lieferanten zur Umstellung bewegt hat. In einzelnen Regionen wie Schottland oder Wales existieren ebenfalls Plattformen, doch flächendeckend werden weiterhin viele Rechnungen als PDF oder in Papierform eingereicht – vor allem, weil es keine Pflicht für Lieferanten gibt.

Verbreitung im privaten Sektor

Im privatwirtschaftlichen Umfeld ist E-Invoicing bislang wenig verbreitet. Zwar existieren branchenspezifische Lösungen, z. B. EDI-Verfahren im Handel oder in der Automobilindustrie, doch diese sind meist proprietär und auf große Marktteilnehmer beschränkt. Kleine und mittlere Unternehmen greifen häufig weiterhin auf klassische Rechnungsprozesse zurück, da weder regulatorischer Druck noch einheitliche Standards existieren.

Aktuelle Initiativen und Pilotprojekte

Die nationale Konsultation im Frühjahr 2025 hat nicht nur Meinungen eingeholt, sondern auch die Diskussion über E-Invoicing in den Unternehmen angestoßen. Ergänzend dazu plant die HMRC eine Digitalisierungsstrategie, die gezielt auch kleinere Unternehmen mit einbezieht. Parallel testen Unternehmen und Softwareanbieter im Rahmen von Pilotprojekten verschiedene Formate und Anwendungsfälle. Branchenverbände wie das ICAEW sprechen sich für einen schrittweisen, freiwilligen Einstieg aus. Die internationale Anbindung an das Peppol-Netzwerk bleibt zudem erhalten und erleichtert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Technische und organisatorische Hürden

Ein zentrales Problem ist die fehlende Standardisierung. Unternehmen sehen sich mit unterschiedlichen Formaten konfrontiert (UBL, EDIFACT, PDF etc.), was die Interoperabilität erschwert. Ohne einheitlichen Rahmen entstehen Unsicherheiten und Integrationsaufwand. Zudem fehlen bislang technische Mindestanforderungen auf nationaler Ebene, was insbesondere kleinere Betriebe abschreckt.

Technische Anforderungen und Standards

Während die bisherigen Abschnitte den politischen und regulatorischen Rahmen skizziert haben, werfen wir im Folgenden einen Blick auf die konkreten technischen Voraussetzungen für E-Invoicing und darauf, wie SAP Document and Reporting Compliance (SAP DRC) britische Unternehmen bei der Umsetzung unterstützt.

Im öffentlichen Sektor gelten bereits klare Vorgaben, wie etwa im NHS, wo E-Invoicing verpflichtend über das Peppol-Netzwerk praktiziert wird.

Technologisch basiert Peppol auf dem UBL-Standard und der europäischen Norm EN 16931, was eine hohe Kompatibilität mit EU-Vorgaben sicherstellt. Für SAP-Kunden ergibt sich daraus ein entscheidender Vorteil: Die Integration von SAP DRC in Verbindung mit zertifizierten Peppol Access Points ermöglicht eine rechtskonforme und zukunftssichere Abwicklung von E-Invoices im Vereinigten Königreich.

Obwohl Großbritannien, anders als Italien oder Frankreich, bislang keine zentrale staatliche E-Invoicing-Plattform eingeführt hat, laufen regulatorische Überlegungen in genau diese Richtung. Eine im Mai 2025 abgeschlossene öffentliche Konsultation thematisierte verschiedene Plattformmodelle, darunter 4-Corner- und 5-Corner-Architekturen sowie Echtzeitmeldungen an die Steuerbehörde HMRC. Die Ergebnisse dieser Konsultation werden die weitere Gesetzgebung maßgeblich prägen.

Abb. 1: Das 4-Corner & 5-Corner Model

Auswirkungen auf Unternehmen

Anforderungen für britische Unternehmen

Auch ohne gesetzliche Pflicht kann es sich für Unternehmen lohnen, frühzeitig auf E-Invoicing umzustellen. Der Einsatz digitaler Rechnungsverfahren ermöglicht automatisierte Prozesse, Kostenreduktion und eine effiziente Vorbereitung auf kommende Berichtspflichten. Essenziell sind dabei Funktionen wie revisionssichere Archivierung, ein Authentizitätsnachweis und die Bereitstellung einer menschenlesbaren Darstellung alles Standardfunktionen von SAP DRC.

Auswirkungen auf internationale Geschäftspartner

Für Unternehmen mit grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit, insbesondere mit der EU, sind Peppol-kompatible Formate essenziell. Viele europäische Staaten schreiben die elektronische Rechnungsstellung im B2G-Bereich bereits verpflichtend vor. SAP DRC unterstützt die notwendige Interoperabilität und hilft dabei, Compliance-Risiken in internationalen Geschäftsbeziehungen zu vermeiden.

Empfehlungen für die Umstellung

  • Proaktiv handeln: Jetzt Strukturen schaffen, um regulatorischen Änderungen einen Schritt voraus zu sein.
  • SAP DRC implementieren: Als native SAP-Lösung flexibel integrierbar in S/4HANA und ECC.
  • Peppol-Zugang sichern: Über zertifizierte Access Points von SAP-Partnern oder Middleware-Anbietern.
  • Automatisierung nutzen: Medienbrüche vermeiden, Bearbeitungszeiten verkürzen und Fehler minimieren.

Strategische Empfehlungen

E-Invoicing sollte nicht allein als regulatorische Pflicht betrachtet werden, sondern als strategischer Hebel zur digitalen Transformation von Finanzprozessen. Wer frühzeitig in skalierbare Lösungen wie SAP DRC investiert, kann nationale wie internationale Anforderungen flexibel und zukunftssicher abdecken, auch im sich wandelnden regulatorischen Umfeld Großbritanniens.

Ausblick

Großbritannien steht beim Thema E-Invoicing an der Schwelle zur digitalen Transformation. Auch wenn es aktuell noch keine flächendeckende gesetzliche Verpflichtung gibt, zeigt die Konsultation der britischen Regierung klar: Der Weg führt in Richtung Standardisierung und Digitalisierung. Unternehmen, die sich frühzeitig mit E-Invoicing befassen, verschaffen sich dadurch nicht nur interne Effizienzgewinne, sondern stärken auch ihre Position im internationalen Wettbewerb. Die nächsten Jahre sind eine wertvolle Übergangszeit, um sich strategisch und technisch vorzubereiten.

Gerade in dieser Phase ist es entscheidend, nicht nur die regulatorischen Entwicklungen im Blick zu behalten, sondern auch die passenden technologischen Lösungen einzuführen: Wir bei adesso business consulting unterstützen Sie bei der Einführung von SAP DRC mit fundierter strategischer und technischer Beratung rund um E-Invoicing, E-Reporting und der Systemanalyse – von der Auswahl geeigneter Standards (z. B. Peppol oder ZUGFeRD) bis hin zur Integration in Ihre bestehende IT-Landschaft.

Einen Einblick, wie die internationale E-Invoicing-Strategie auch über Europa hinaus gedacht wird, gibt unser Kollege Aleksandar Lukić in seinem Blogbeitrag zum E-Invoicing Summit in Miami.

Nutzen Sie unsere Erfahrung, um den digitalen Wandel im Rechnungswesen erfolgreich und zukunftssicher zu gestalten.

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Ein Beitrag von:

Tenito Keul

Mit Erfahrung in der digitalen Transformation von Unternehmensprozessen unterstützt Tenito Keul bei der zukunftssicheren Aufstellung von Finanz- und Controllingstrukturen. Sein Fokus liegt auf der Einführung und Optimierung integrierter Lösungen rund um SAP S/4HANA – insbesondere in komplexen Projektumgebungen der Fertigungs-, Automobil- und Energiewirtschaft. Er verbindet Prozessverständnis mit technischem Know-how in modernen SAP-Technologien.
Alle Beiträge von: Malek Aouinet und Tenito Keul

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